Unter »sprachlicher Bearbeitung« verstehen wir dasselbe wie das Chicago Manual unter manuscript editing (auch copyediting oder line editing). In genau dieser Bedeutung hatten wir »sprachliche Bearbeitung« bereits in allen früheren Versionen dieser Internetseiten verwendet. Die eben genannte Parallele finden wir umso erhellender, als sie in der Verwendung der beiden Bezeichnungen als Überbegriff sogar noch eine Fortsetzung findet.
Das Chicago Manual subsumiert nämlich zwei grundsätzlich verschiedene Tätigkeiten unter manuscript editing: substantive editing (hier früher »Redigieren«, nunmehr »substanzorientierte Bearbeitung«) und mechanical editing (früher »Lektorieren«, nun »mechanische Bearbeitung«).
Nicht nur diese äußerst wichtige Differenzierung wird durch den Überbegriff der »sprachlichen Bearbeitung« erst möglich, sondern er erlaubt auch das Ziehen einer deutlichen Trennlinie zum zuvor erörterten developmental editing (hier, wie bereits erwähnt, »strukturelle Bearbeitung«).
Dass der Schwerpunkt unserer Arbeit ohne Zweifel genau hier liegt, kommt deutlich auch im unteren Tabellenabschnitt durch die gestaffelten Bandbreiten zum Ausdruck. Und genau deshalb kommen wir im Zuge dieser Seiten auch immer wieder auf diesen Bearbeitungstyp zu sprechen.
Wesentlich in diesem Zusammenhang ist der im Chicago Manual betonte Unterschied zwischen substantive editing (hier »substanzorientierte Bearbeitung«) und mechanical editing (hier »mechanische Bearbeitung«). Prinzipiell wird eine gute substanzorientierte Bearbeitung die nachgeordneten mechanischen Anforderungen sehr weitreichend bereits mit abdecken.
Ebenso grundsätzlich stellen jedoch beide Tätigkeiten (a) ganz verschiedene Anforderungen an die Kompetenz der handelnden Person(en). Auch unterscheidet sich (b) ganz beträchtlich die geistige Perspektive, denn Konzentration auf Substanz kann für manch mechanische Aspekte blind machen, und umgekehrt fällt dieser Effekt selbstverständlich noch viel stärker ins Gewicht.
Eine professionelle substanzorientierte Bearbeitung wird, wie gesagt, die nachgeordneten mechanischen Anforderungen weitestgehend bereits mit abdecken. Zwischen Substanz und Mechanik ergibt sich aber, anders als zuvor zwischen Struktur und Substanz, eine gewisse zwingende Reihenfolge der Schritte schon deshalb, weil der substanzorientierte Einzelbearbeiter nicht nur implizit auch mechanisch agiert, sondern das Produkt seiner Tätigkeit auch explizit korrekturlesen wird und diese Verrichtung, mitsamt dem ihr eigenen Perspektivenwechsel, selbst in ihrer reduziertesten Form (»Überfliegen« des Textes) immer nur am Schluss stehen kann.
Arbeiten zwei Personen am selben Text, führt an der korrekten Reihenfolge, also zuerst Substanz und dann Mechanik, ohnehin kein Weg vorbei. Übersetzen durch Menschen (siehe hierzu auch den Beginn des nächsten Abschnitts) wiederum hat stets eine substanzorientierte Komponente, sodass getrennte mechanische Nachbearbeitungen keinesfalls eine »mechanische« Kontrolle auf Übereinstimmung mit dem Ausgangstext beinhalten sollten. Überhaupt birgt jedes Delegieren solcher Kontrollaufgaben durch den federführenden Autor an andere Personen (zuweilen sogar noch an Koautoren) ein Risiko mechanischer Fehlbeurteilungen.
Vorweg zur Klarstellung: »Mechanisch« ist hier nicht mit »maschinell« oder »automatisiert« zu verwechseln. Mehr zu diesem anderen Thema planen wir – in Anbetracht der unbestreitbaren Aktualität dieser Entwicklungen bei all ihrer Vordergründigkeit speziell im Bereich der Substanzorientierung – für demnächst im angedachten Lesebereich »Sinnvolle Maßstäbe«.
Vielmehr dienen mechanische Bearbeitungen in erster Linie der Konformität mit Regelwerken, die wir im Deutschen gern, aber doch sehr undifferenziert als »Rechtschreibung« diskutieren, während im Englischen eher von einem style die Rede ist. Das Chicago Manual ist also keine »Stilfibel« im deutschen Sinn, sondern kombiniert diverse Elemente, die wir etwa aus dem Duden kennen, namentlich aus dem Vorspann von Band 1 und aus Band 9 der zwölfbändigen Ausgabe.
Abwertend kann »mechanische« Bearbeitung schon deshalb nicht gemeint sein, weil solche Regelwerke unendlich viel Luft nach oben für Sprachgefühl und eben auch Faktenwissen bieten. Trotzdem liegt der entscheidende Punkt nicht etwa in der praxisfernen Fähigkeit, solche äußeren Regelwerke quasi bis aufs i-Tüpfelchen einzuhalten (erschwerend hinzu kommen mögliche Überlagerungen beispielsweise des AMA Style durch die Autorenrichtlinien eines Zieljournals).
Wichtig ist vielmehr das »innere« Regelwerk der handelnden Person. Denn erst ein gewachsenes, schlüssiges System dieser Art schafft die Voraussetzungen für »zügige, logische, begründbare Entscheidungen«, wie das Chicago Manual sie fordert. Und mit größter Regelmäßigkeit eröffnen diese Zusammenhänge sehr interessante Spannungsfelder zu »blinder Regelkonformität«.