Deutsch und Englisch gehören beide zur Familie der germanischen Sprachen und haben somit viele Gemeinsamkeiten. Allerdings sind über die Jahrhunderte auch fundamentale Unterschiede entstanden, die man keinen Augenblick unterschätzen sollte. So ist Deutsch eine mittelstark flektierende, Englisch hingegen eine isolierende Sprache. Allein dieser Unterschied hat weitreichende Konsequenzen.
Flektierende Sprachen haben Fälle. Die meisten slawischen Sprachen haben sieben Fälle, Deutsch vier, Englisch nur einen (wenigstens für den Zweck dieser Diskussion). Mit zunehmender Fallzahl lässt sich die Wortstellung zur Gewichtung von Inhalten freier verändern. In den slawischen Sprachen ist diese Flexibilität groß, im Deutschen mittelmäßig bis gut. Im Englischen ist sie nur rudimentär vorhanden.
Deutsch nimmt im Kontinuum der indoeuropäischen Sprachen eine Mittelstellung zwischen flektierend und analytisch ein. Gesprochenes Deutsch bereitet durch die Möglichkeiten der stimmlichen Betonung keine Orientierungsprobleme im Satzgefüge. Geschriebenes Deutsch hingegen hat ein latentes Problem mit der Übersichtlichkeit von Sätzen. Denn die Sprache ist einerseits nicht flektierend genug, dass die Funktion aller Wörter unabhängig von der Satzstellung klar ersichtlich wäre. Andererseits ist sie auch nicht isolierend genug, dass die Funktion mit großer Zuverlässigkeit schon aus der Satzstellung hervorgehen würde.
Wir vermuten, dass im Deutschen genau aus diesem Grund immer noch Großbuchstaben zur Markierung von Substantiva verwendet werden. Mit anderen Worten: Die gemäßigte Kleinschreibung konnte sich nie durchsetzen, weil diese Großbuchstaben als »Lesehilfe« benötigt werden. Im Englischen kann es dagegen vorkommen, dass selbst noch mehrzeilige Sätze kein einziges Komma benötigen und dennoch perfekt übersichtlich sind. Denn die wichtigste Stärke des analytischen Prinzips liegt in seiner Geradlinigkeit.
Andererseits geht im Englischen rasch die Orientierung verloren, wenn die Wortfolge nicht eindeutigen Mustern folgt. Und die Moral der Geschichte lautet: Beim Verfassen englischer Texte sollten wir bedenken, dass gut durchdachte Wortfolgen stets effizienter sind als die fortgeschrittenste Einschubkunst und Nebensatzakrobatik. Beim Lesen englischer Texte sollten wir daher nicht nur auf unbekannte Vokabeln achten, sondern bewusst auch die Geheimnisse der Wortstellung zu ergründen versuchen. Dieses Wissen kann uns selbst noch bei komplexer Materie zu einer ungeahnten Geradlinigkeit des Ausdrucks verhelfen.
Die historischen Gründe für die Entstehung von flektierenden und isolierenden Sprachen kennen wir nicht. Klar nachvollziehbar sind hingegen die unterschiedlichen Auffassungen der deutschen und englischen Sprachgemeinschaft zum Wesen von romanischen Wörtern. Im Jahr 1066 fielen von Frankreich aus die Normannen in Britannien ein. Sie eroberten das Land und machten die damalige Variante des Französischen zur Amtssprache.
Allmählich vermischten sich die beiden Sprachen. Das heutige Englisch besitzt somit neben seiner germanischen auch eine romanische Komponente. Dieser reiche Überbau an zusätzlichen Wörtern lateinischen Ursprungs erklärt auch, warum das Englische aus Sicht der anderen großen europäischen Sprachen einen ungeheuer reichen Wortschatz besitzt. Auffällig ist ferner, dass sich viele der Bedeutungen gegenüber den lateinischen Wurzeln stark verändert haben.
Wie in der Überschrift angedeutet, gelten diese Wörter im Englischen als »schwer«. Der deutschen Sprachgemeinschaft sind sie hingegen »fremd« geblieben. Einen Sonderfall bildet der deutsche Fundus an sehr alten Lehnwörtern aus dem Lateinischen, die jedoch in aller Regel nicht mehr als romanische Wörter aufgefasst werden. Von diesen Sonderfällen abgesehen haben sich fast immer Wörter germanischen Ursprungs als tragende Säulen durchgesetzt. Als Faustregel gilt, dass Wörter germanischer Herkunft direkter sind und mehr Gefühlswert besitzen als gleichbedeutende Wörter aus dem Lateinischen.
Allerdings ist das Verhältnis der deutschen Sprachgemeinschaft zu Fremdwörtern seit jeher gespalten. Stets wurden sehr bereitwillig Anleihen gemacht und sind danach spurlos wieder verschwunden. So gesehen relativieren sich auch gewisse Befürchtungen zu manchen Anglizismen, die heute täglich Einzug ins Deutsche halten. Wenn man nur in längeren Zeiträumen denkt, verfügt Sprache durchaus über wirksame Mechanismen der Selbstorganisation.
Ein fundamentaler Unterschied zwischen Deutsch und Englisch liegt auch in der Häufigkeit von Wortentlehnungen jüngeren Datums. Dies gilt für die Entlehnfrequenz insgesamt, aber auch für das direkte Verhältnis beider Sprachen zueinander. In dieser Hinsicht haben wir bekanntlich ein gewaltiges Bilanzdefizit. Man kann jedoch nicht behaupten, dass es im Englischen keine Germanismen gäbe. Das Spektrum ist im Gegenteil ziemlich breit. Allgemeinsprachlich reicht es von angst bis zugzwang, in der medizinischen Fachsprache von anlage bis zuckergussdarm.
Die historischen Gründe hierfür brauchen wir nicht zu diskutieren. Wichtig ist die Feststellung, dass wir keinesfalls das ganze Programm einschließlich gemütlichkeit, schadenfreude und wanderlust einfach mit unseren Maßstäben messen dürfen. Viele dieser deutschen Begriffe haben im Englischen eher bildungssprachliche Funktion. Hinzu kommt eine mystische Note, die im Deutschen selbst nicht gut nachvollziehbar ist. Wenn man ein Bild zur Illustration erzwingen will, könnte man sich philosophierende Waldgeister vorstellen, die Kauderwelsch sprechend an grübelsucht und weltschmerz leiden.
Ob wir also »Doppelgänger«, »Weltanschauung« und »Zeitgeist« im Einzelfall wirklich mit doppelgänger, weltanschauung und zeitgeist übersetzen sollen, will sehr gut überlegt sein. In den allermeisten Fällen ist wohl strikt davon abzuraten, da die Gewichtung aller dieser Begriffe in beiden Sprachen sehr unterschiedlich ist.
Die Gewichtungen verändern sich auch bei Wortentlehnungen, die den umgekehrten Weg vom Englischen ins Deutsche gehen. Dieses Thema steht neuerdings, nach vielen Jahren der Nichtbeachtung, sogar im öffentlichen Diskurs. Auch in die medizinische Fachsprache halten englische Wörter täglich Einzug. Dieser Sonderfall liegt sehr kompliziert, weil sich in undurchsichtiger Weise verschiedenartigste Phänomene vermischen: (a) der historische Anspruch der Medizin auf eine internationale Standardterminologie, (b) Pragmatismus angesichts schnelllebiger Entwicklungen und (c) unsere zeitgeistige Vorliebe für »Handy-Denglisch«.
Auch englische Allerweltsbegriffe geraten so täglich in die deutsche Fachsprache und übernehmen hier nicht selten die Funktion von absoluten Spezialtermini. Manche der Konsequenzen von solchen Entlehnungen können nicht erwünscht sein. So reduziert oder verfälscht sich etwa der ursprüngliche Bedeutungsumfang, oder es vermischen sich in verwirrender Weise lateinische mit englischen Bedeutungen. Am schwersten wiegt vielleicht die Tatsche, dass die deutsche Fachsprache durch ungezügelte Anleihen dieser Art schwerer verständlich wird als die englische Fachsprache.
Der Ursprung von Anglizismen in der Medizin liegt sehr häufig in pragmatischen Übergangsbezeichnungen für neue Materialien und Methoden. Somit können diese Wörter, je nach Entwicklung der bezeichneten Neuerung, durchaus unterschiedliche Schicksale nehmen. Hat die Neuerung keinen Bestand, verschwindet auch der Anglizismus wieder. Setzt sie sich durch, kann es vorkommen, dass die Übergangsbezeichnung bis dahin schon so fest etabliert ist, dass man wenigstens eine Zeitlang mit ihr leben muss. Setzt sich die Neuerung im großen Stil oder nachhaltig durch, bestehen wieder gute Aussichten, dass letztlich doch noch eine deutsche Bezeichnung das Rennen macht.
Kurzfristig gibt es aber durchaus negative Effekte, die man nicht wegdiskutieren kann. Eine Lösung für dieses Problem können wir nicht anbieten. Wichtig für Autoren ist der Hinweis, dass mit Anglizismen, die im Deutschen existieren, ebenso große Vorsicht geboten ist wie mit Germanismen, die im Englischen existieren. Wir dürfen also beim Verfassen englischer Texte nicht Anglizismen verwenden und dabei unkritisch deren Bedeutungsumfang im Deutschen zugrunde legen.
In der Sprachwissenschaft unterscheidet man zwischen präskriptiven und deskriptiven Grammatiken. Erstere werden nach der Auffassung erarbeitet, dass regelkonforme Formulierungen per Definition auch grammatikalisch korrekt sind. Letztere nähern sich der Vorstellung von Korrektheit durch Beschreibung gängiger Konventionen.
Wir müssen dieses Thema nicht überstrapazieren, da die Grenzen zwischen beiden Ansätzen eher unscharf sind. Historisch bestand im deutschen Sprachraum eher als im englischen eine Tendenz zu verordnenden grammatischen Denkmustern, wobei autoritäre Strukturen einerseits und der Einfluss des Lateinischen andererseits eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben dürften. Es wäre aber nicht besonders fair, deutschen Grammatikern in der heutigen Zeit noch präskriptive Denkmuster zu unterstellen.
Andererseits können Sprecher des Englischen und des Deutschen deutliche Mentalitätsunterschiede in ihrer Denkweise zu solchen Fragen zeigen. Wenn wir also etwas unterstellen wollen, dann sind dies gewisse Erwartungen, die von außen an Grammatik geknüpft werden. Mit anderen Worten variiert das Ausmaß an »Führung«, das Hilfesuchende von einem Grammatikbuch erwarten würden.
Manche deutschsprachige Autoren hegen beim Verfassen englischer Texte überaus große Erwartungen an Grammatikregeln als Regulativ. Oft wird diese Haltung übertrieben. Es ist nicht richtig, dass beliebige Konstruktionen schon deshalb passend sein müssen, weil sie einem Grammatikbuch entstammen. Natürlich entsteht gute Grammatik aus Konventionen, Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Diese aber beziehen ihre praktische Gültigkeit nicht zuletzt aus konkreten Zusammenhängen und Kommunikationssituationen.
Hilfreicher als Grammatikbücher sind diverse Style Guides, die für die englische Sprache in großer Zahl und Ausführlichkeit erhältlich sind. Leider müssen wir gleich wieder einschränkend hinzufügen, dass diese Publikationen meist einen journalistischen Hintergrund haben. Medizinisch-wissenschaftliche Aufsätze sind aber eine sehr spezielle Textsorte mit vielen Anforderungen, Konventionen und Stilmitteln, die in solchen Style Guides nicht behandelt werden. Zum ultimativen »Festhalten« sind somit auch diese Werke nicht geeignet.
Die bisher angesprochenen Unterschiede zwischen Englisch und Deutsch waren fundamentaler Natur. Daneben lassen sich in jeder erdenklichen Zahl auch graduelle Unterschiede finden. Hierauf einzugehen würde den Rahmen dieser Internetseiten sprengen. Ein Konzept zur Darstellung von graduellen Unterschieden zwischen Englisch und Deutsch in der medizinischen Fachsprache wäre aber zweifellos ein interessantes Projekt. An entsprechendem Wissen würde bei uns kein Mangel herrschen.
(Text aus 2009)