Übersetzer sind ein sehr heterogenes Volk. Zu Theoretikern und Praktikern aller Couleur gesellen sich ausgebildete Sprachmittler mit fachlicher Spezialisierung oder Quereinsteiger vom Fach mit mehr oder weniger guten Sprachkenntnissen. Manche Übersetzer haben ihre Berufswahl sehr gezielt und bewusst getroffen, andere hat Kommissar Zufall aus der Taufe gehoben. Hinzu kommen geografische Besonderheiten: Wenn wir das Sprachenpaar Deutsch und Englisch betrachten, haben wir es mit Deutschen in Amerika ebenso zu tun wie mit Engländern in der Schweiz, Neuseeländern in Kanada oder Österreichern in Österreich.
Manche Übersetzer übersetzen ausschließlich in die Muttersprache, andere auch in eine Fremdsprache, in mehrere Fremdsprachen oder gar zwischen Fremdsprachen. Bei wieder anderen lässt sich die Sprachrichtung nicht definieren, weil sie bereits zweisprachig aufgewachsen sind. Manche Übersetzer bieten acht Sprachen an, manche nur ein Paar. Absolute Textpuristen treffen auf Spezialisten für Layoutformate, Idealisten auf Pragmatiker, Linguisten auf Physiker, Rentner auf Töchter. Manche Übersetzer arbeiten für Agenturen, andere für Direktkunden. Manche halten sich für Generalisten, andere für Spezialisten.
Entsprechend breit gestreut sind die Kunden und Märkte. Wir können diese vielfältigen Realitäten nicht einheitlich diskutieren. Es gibt auch keine Regel, wonach ein bestimmter Übersetzertypus bessere Resultate hervorbringt als ein beliebiger anderer. Vielmehr haben wir es mit sehr unterschiedlichen individuellen Mischungen aus vielfältigen Stärken und Schwächen zu tun. Die Mischung macht es also aus. Diese nimmt sehr viel entscheidender Einfluss auf die Qualität von Übersetzungen als jedes denkbare Kurzprofil.
Bei aller typologischen Duldsamkeit (Gottes Zoo ist ja bekanntlich groß) sind wir der festen Überzeugung, dass die Toleranz dort enden muss, wo die individuelle Mischung aus Stärken und Schwächen so beschaffen ist, dass sich die Kernkompetenz als Sprachmittler aufzulösen droht. Diese Kernkompetenz umfasst eine ganze Reihe von Fähigkeiten, unbestreitbar liegt aber die zentrale Anforderung in einem soliden Fundament an kontrastivem Sprachwissen. Bereits auf dieser grundlegenden Ebene regiert der Irrtum, denn dieses ebenso tiefe wie breite Feld an Spezialwissen ist keineswegs mit gängigen Vorstellungen von allgemeiner Sprachbeherrschung zu verwechseln.
Unmittelbar danach in der Hierarchie notwendiger Fähigkeiten folgt ein gutes Aufnahmevermögen für verschiedenste Zusammenhänge fachlicher, intellektueller und psychologischer Art. Mit anderen Worten: Fachübersetzungen stellen Ansprüche an den Sachverstand, erfordern aber auch ein hohes Maß an Interpretationsvermögen. Die Qualität des Interpretierens wiederum steigt mit dem Niveau des kontrastiven Sprachwissens. Auf der Umsetzungsseite sind gute aktive Schreibkenntnisse mit kohärenten treffenden Formulierungen erforderlich, aber auch erzählerische Qualitäten im weitesten Sinn.
Manche dieser Wissensinhalte mögen schwer greifbar sein und/oder besonders offensichtlich erscheinen. Leider jedoch ist besonders Offensichtliches häufig auch besonders schwer darstellbar. Gerade deshalb beschreitet man oft den Weg des geringsten Widerstandes und bagatellisiert diese naheliegenden Elemente der übersetzerischen Kernkompetenz. Wir machen uns diese Aufgabe nicht so leicht und wollen daher die folgenden Seiten zu einigen Klarstellungen nutzen, die wir keineswegs für Bagatellen halten.
Diese Seite möchten wir noch nutzen, um zwei Missverständnisse auszuräumen, die bei der Lektüre unserer Internetseiten entstehen könnten. Die erste Klarstellung betrifft den Begriff der Intelligenz im Zusammenhang mit übersetzerischen Fähigkeiten. Wir verwenden diesen Begriff deshalb nicht, weil er bei vielen Menschen ideologische Assoziationen zur Streitfrage auslöst, welche Fähigkeiten der Mensch ererbt und welche er erwirbt. Wir sind aber nicht an der Frage interessiert, welche Elemente von übersetzerischer Kompetenz »vielleicht« schon bei der Geburt feststehen könnten.
Die zweite Klarstellung betrifft den Stellenwert der Rechtschreibung für Übersetzer. Wir werden auf anderen Seiten mit Nachdruck argumentieren, dass gewisse Details der deutschen Rechtschreibung bei weitem nicht so wichtig sind, wie sie gern angesehen werden. Diese Haltung dürfen wir aber nicht auf den eigenen Beruf übertragen. Für den Sprachmittler ist die Rechtschreibung ein Werkzeug wie der Hobel für den Tischler. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Übersetzer, die hier merkliche Defizite zeigen, haben also ein Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit, weil sich der Schluss aufdrängt, dass sie ihren Beruf nicht richtig erlernt haben.
Was die Diskussion nicht leichter macht, ist die Gefahr, das Kind gleich wieder mit dem Bad auszuschütten. Denn fast niemand beherrscht lückenlos das gesamte Regelwerk der deutschen Orthografie. Dies war schon zu Zeiten der alten Rechtschreibung bekannt, und die Reform hat daran nichts Wesentliches geändert. Selbst auf professionellem Niveau sind daher gelegentliche Fehler immer noch vertretbar, denn katholischer als der Papst können auch wir nicht sein. Worauf es ankommt, ist vielmehr die Frequenz und Art der Fehler sowie vernünftiges Auseinanderhalten von menschlichen und übermenschlichen Erwartungen.
(Text aus 2009)